Ein Museum in der Kalkbergstadt? – Die wechselvolle Geschichte des Museumsstandortes Bad Segeberg
Die Fehlstelle eines kulturhistorischen Kreis- oder Stadt-Museums mit einem Themenschwerpunkt zur Segeberger Kreis- und Stadtgeschichte bzw. zur Kulturgeschichte des Kreises ist im Kreis Segeberg lange unerkannt geblieben! Tatsächlich ist der Kreis Segeberg der einzige Kreis Schleswig-Holsteins ohne ein zentrales (kultur-)historisches (Kreis-)Museum mit didaktisch aufbereiteten Inhalten zur hochrelevanten Regionalgeschichte, mit Bezügen und Verknüpfungen zur Landes- oder gar National- bzw. internationalen Geschichte. Selbstredend stellt auch keines der kleineren Museumseinrichtungen im Kreis Segeberg die jahrhundertelange und äußerst ereignisreiche Geschichte der Region (bzw. der Vogtei oder des Kreises) dar. So ist auch die Entstehung des Kreises aus der mittelalterlichen Burgvogtei, ihre immense Bedeutung für die Herzogtümer und zuletzt für das dänische Königshaus wie auch sein Geschick in der preußischen Provinz in einer angemessenen Museumseinrichtung des Kreises nirgendwo vermittelt.
Daraus resultieren zahlreiche Fragen …
Das Alt-Segeberger Bürgerhaus
Erste Ansätze zu einem Museum in Bad Segeberg reichen weiter in die Vergangenheit zurück als gemeinhin bekannt. Die Idee eines (kulturhistorischen) Museums in Bad Segeberg ist tatsächlich nicht neu: Erste Überlegungen dazu entstanden in der Kalkbergstadt – durchaus zeittypisch! – bereits während des Nationalsozialismus. Im Jahre 1934 war die Einrichtung eines Museums im Gebäude der ehemaligen Mädchenschule an der Marienkirche vorgesehen, später im Schulhaus Oldesloer Straße 27 (heute Modellbauladen „Victor Böhm“), und zur „800-Jahr-Feier“ der Stadt (1937) wurde erstmals eine „vorgeschichtliche Sammlung“ aufgebaut, die während des Zweiten Weltkrieges jedoch größtenteils wieder aufgelöst wurde und somit verloren ging. Auch die Eingabe des unermüdlichen Stadtchronisten Jürgen Hagel an die Stadtverwaltung zur Einrichtung eines Museumsrates im Jahre 1950 verebbte ebenso ergebnislos wie die Anregung des Direktors des Mineralogisch-Petrographischen Instituts der Universität Kiel, Prof. Dr. Johannes Leonhardt, in 1953 am ehemals vorgesehenen Segeberger Standort für ein Salzbergwerk ein Salzmuseum mit überregionaler Ausrichtung und der „Darstellung zur Entstehung, Geologie, industrieller Verarbeitung und wirtschaftlichen Nutzung der Salzgesteine“ einzurichten. Bereits in dasselbe Jahr (1953) datiert der Beschluss des vom Bad Segeberger Gemeinderat einberufenen Museums-Ausschusses, Rücklagen für den Ankauf des Hauses Lübecker Straße 15 zu schaffen. Da das Bürgerhaus schon zu diesem frühen Zeitpunkt (1953!) für Museums-Ausstellungen als zu klein erachtet wurde, war lediglich eine Herrichtung des Alt-Segeberger Bürgerhauses als eine Art stadthistorisches Zeitdokument seiner selbst – sozusagen als Freilichtmuseum (wie beispielsweise das „Ostenfelder Bauernhaus“ in Husum) – vorgesehen. Für die weiterhin beabsichtigten Museums-Ausstellungen war hingegen schon damals ein Anbau geplant!
Erst nach der abermaligen Gründung eines Museumsausschusses in der Stadtvertretung im Jahre 1956 kam es zuletzt 1959 zum Ankauf des Hauses Lübecker Straße 15, das nach erheblichen Sanierungsmaßnahmen und gravierenden Umbauten im Inneren in den Jahren 1963 bis 1964 als Heimatmuseum im November 1964 eröffnet wurde. Dieses Heimatmuseum entwickelte sich in den folgenden Jahrzehnten dann jedoch nicht – wie ursprünglich beabsichtigt – zur Keimzelle eines größeren Museums weiter. Vielmehr verharrte es mit seiner konzeptionslos zusammengetragenen Sammlung (bestehend vorwiegend aus von der Segeberger Bevölkerung überlassenen Relikten) über nahezu fünf Jahrzehnte lang als vermeintliches „Zeugnis kleinbürgerlichen Lebens vor etwa 100 Jahren“ – so die Broschüre „Wohnen im Wandel der Zeit“ von 1984. Längst galt das Segeberger Fachwerkhaus des 16./17. Jahrhunderts bereits zu diesem Zeitpunkt als Sinnbild eines staubigen Museums mit einer unzeitgemäßen und hoffnungslos überholten Präsentation, mit geringen Besucherzahlen, ohne jegliches Begleit-Programm und ohne „Strahlkraft“ für die Kreisstadt, lediglich betreut von einer (geringverdienenden) Person ohne fachliche Qualifizierung. Im Jahre 2011 stand das Heimatmuseum daher zuletzt vor seiner Schließung
„Lebendiges Museum“ in der historischen Bad Segeberger Altstadt
Eine erste Anregung zur Weiterentwicklung des Museumsstandortes Bad Segeberg wie zur Nutzung des Bürgerhauses machte dann erst wieder der Baugutachter Dr. Holger Reimers in dem von der Stadt beauftragten Schadensgutachten des Alt-Segeberger Bürgerhauses von 2011. Am Ende seiner ernüchternden Bestandsanalyse über den baulichen Zustand des Bürgerhauses regte der Bauhistoriker – neben zahlreichen notwendigen Sanierungsmaßnahmen – erstmals den weiteren Ausbau des Museumsstandortes Bad Segeberg an: „… Die Attraktivität von Museen ist von vielen Faktoren abhängig: von einer interessanten Sammlung, von guten Vermittlungsformen, von bemerkenswerten Sonderausstellungen, von reizvollen gastronomischen Angeboten, von einem hohen Freizeitwert. Um all dies in einem stadtgeschichtlichen Museum Bad Segeberg realisieren zu können, reicht der Platz in dem Handwerkerhaus des 16. Jahrhunderts nicht aus …“.
Reimers unterbreitete bereits in seinem Gutachten von 2011 zahlreiche konkrete Vorschläge zu einzelnen Bereichen und Gebäuden und wies erstmals auch auf die Chance einer Museumserweiterung im historischen Höhlenkrug-Gebäude in der direkten Nachbarschaft hin:
„… Eingangsbereich
Die Freifläche auf der Ostseite bietet sich zunächst an, sie in das Museum als gestalteter Garten in das aktuelle Nutzungskonzept einzubeziehen. Da hier bis vor wenigen Jahren aber ein Nachbarhaus stand, erscheint es wesentlich plausibler, die geschlossene Straßenflucht mit einem Neubau zu schließen, der wesentliche Funktionen des Museums wie Kassenbereich, WC-Anlagen, Museumsshop, Personal- und Sonderausstellungsräume aufnehmen könnte.“
„… Gastronomie
Um ein attraktives gastronomisches Angebot zu erhalten, bietet sich eine Kooperation mit dem benachbarten Höhlenkrug an, der sich östlich anschließt. Hier besteht die raumgestalterische und architektonische Aufgabe darin, den Betrieb der Bäckerei und des Museumscafés so zu vernetzen, dass Museumsbesucher jeden Aufenthalt in dem Museumscafé mit einer positiven Assoziation mit dem Museum Bad Segeberg verbinden. […]“
„… Ausstellungen / Sonderausstellungen
Um eine stadtgeschichtliche Ausstellung in ihrer Vielfalt präsentieren zu können, sind die Räume im bisherigen Heimatmuseum nicht ausreichend. In Erwägung gezogen werden sollte deshalb nicht nur die Schaffung eines Sonderausstellungsraumes im Eingangsbereich auf dem östlich benachbarten Grundstück, sondern auch eine sinnvolle Erweiterung der Museumsräumlichkeiten. Diese bietet sich mit der Einbeziehung des bedeutenden barocken Gebäudes der Kirchspielvogtei aus dem späten 18. Jahrhundert an, die zurzeit zum Höhlenkrug gehört. Die Sanierung des Gebäudes mit Fördermitteln voranzutreiben und zugleich neben dem Handwerkerhaus des 16. Jahrhunderts auch ein großbürgerliches Bauwerk des 18. Jahrhunderts von stadtgeschichtlicher Bedeutung in das Museum einzubeziehen, erscheint im Moment vielleicht als hochgesetztes Ziel. Für das Museum Bad Segeberg wäre es eine sehr angemessene Erweiterung zur Vermittlung bürgerlichen und großbürgerlichen Wohnens sowie zur Stadtgeschichte allgemein. […] Das Heimatmuseum und seine fachgerechte Instandsetzung waren der Ausgangspunkt dieser Untersuchung. Dieses Renaissance-Bürgerhaus im Kern von Bad Segeberg ist es wert, die Keimzelle eines stadtgeschichtlichen Museums Bad Segeberg zu werden.“
Als konkrete Anregung brachte Reimers zuletzt die Idee eines Deutschen Gipsmuseums als Alleinstellungsmerkmal eines künftigen Segeberger Museums ins Spiel, denn Gipsgestein des Segeberger Kalkberges hatte über Jahrhunderte für alle bedeutsamen Bauten Holsteins, Lübecks und Hamburgs eine immense Bedeutung und böte sich somit als hervorragender Anknüpfungspunkt an die Regionalgeschichte des Umlandes und etlicher weiterer Aspekte an.
Alle Anregungen zum Ausbau des Segeberger Museumsstandortes, ebenso wie der Sanierungsbedarf des Bürgerhauses, blieben jedoch weiterhin unberücksichtigt. Erneut wurde deutlich: Den Ansprüchen eines präsentablen Stadtmuseums der Kreisstadt Bad Segeberg werden die beengten und in vielfacher Hinsicht unzulänglichen Räume des Alt-Segeberger Bürgerhauses in keiner Weise gerecht. Für die Belange eines nach wie vor im Kreis Segeberg fehlenden Kreis- und Stadtmuseums gilt diese Feststellung umso mehr.
Ein 2018 durchgeführtes Zertifizierungsverfahren des Alt-Segeberger Bürgerhauses bei der „Museumsberatung und -zertifizierung Schleswig-Holstein“ endete dann folgerichtig ohne Verleihung des Zertifikats, jedoch mit einer mehrseitigen Monier-Liste, in der u. a. erneut auf die seit Langem bekannten Unzulänglichkeiten verwiesen wurde:
- „… Die Fläche der Dauerausstellung ist für die Darstellung der Geschichte der Stadt Bad Segeberg nicht ausreichend. Wichtige Themen der Stadtgeschichte – wie etwa die mittelalterliche Burg und das Wirken Heinrich Rantzaus – können nicht ihrer Bedeutung für die schleswig-holsteinische Landesgeschichte entsprechend dargestellt werden. Es wird dringend empfohlen, Konzepte für eine Erweiterung der Dauerausstellung im Rahmen eines zu gründenden Kreismuseums zu verfolgen. Die örtliche Bebauung erlaubt eine Erweiterung des Museums durch einen Neubau auf der anschließenden Freifläche oder die Einbeziehung eines Nachbargebäudes. Es sollte geprüft werden, ob der aus dem Jahr 1788 stammende Höhlenkrug, der als ehemaliges Landratsamt [gemeint: Kirchspielvogtei] für eine Nutzung als Museum prädestiniert wäre, saniert und umgenutzt werden kann.“
- „… Aufgrund der räumlichen Enge ist es derzeit lediglich möglich, Vermittlungsangebote für Gruppen bis zu einer Stärke von 12 Personen anzubieten. Somit sind Projekte für Schulklassen generell ausgeschlossen. Für die Zertifizierung des Alt-Segeberger Bürgerhauses muss jedoch gewährleistet sein, dass Vermittlungsangebote für alle Alters- und Zielgruppen vorliegen – insbesondere auch für Schulen. Dies spricht wieder für eine Erweiterung des Stadtmuseums zu einem Kreismuseum.“
Aufgrund dieses abermals dokumentierten Museumsdefizits in Kreis und Stadt Segeberg gründeten Bürgervorsteherin Monika Saggau, Prof. Asmus Hintz und Museumsleiter Nils Hinrichsen Ende 2018 die „Initiative Zukunft“, die sich dem Engagement für ein kreisrelevantes kulturhistorisches Museum widmete.
Nach öffentlichkeitswirksamen Auftaktveranstaltungen (einem historischen Umzug, einer Podiumsdiskussion im Rathaus und div. Presseinformationen) gründeten interessierte Segeberger Anfang 2019 dann den „Förderverein Kreis- und Stadtmuseum Segeberg“, der sich fortan mit großem Einsatz und der Unterstützung einer wachsenden Mitgliederzahl für die Einrichtung eines entsprechenden Museums in der Bad Segeberger Innenstadt einsetzt und zunächst die Anregungen zur Nutzung des einstigen Kirchspielvogteigebäudes in der ehemaligen, inzwischen leerstehenden „Höhlenkrug“-Bäckerei dafür aufgriff.
Nach dem Abbau der fragwürdigen und jahrzehntealten Präsentation „Zeugnis kleinbürgerlichen Lebens vor etwa 100 Jahren“ konnte der erste hauptamtliche Leiter des Museums Alt-Segeberger Bürgerhaus, Nils Hinrichsen, seit 2012 auf den begrenzten Flächen sukzessive zwei vollkommen neue Dauerausstellungen (zur Stadtgeschichte Segebergs und zur Hausgeschichte des Bürgerhauses) in die Räume des einstigen „Heimatmuseums“ einbauen und somit zeitweilig erste Ansätze einer konzeptionellen Museumsarbeit verwirklichen. Mit der Entlassung des Museumsleiters Nils Hinrichsen 2019/2020 durch den Museumsträger (der VHS) endete dieser Ansatz zur Begründung einer fundierten, professionalisierten und nachhaltigen Museumstradition ein weiteres Mal so abrupt wie perspektivlos.
Im Vergleich mit den anderen Kreisen Schleswig-Holsteins bleibt weiterhin festzuhalten, dass der Kreis Segeberg auf eine kulturhistorische Museumseinrichtung mit Themenbezug zur Kreisgeschichte bislang verzichtet. Die Defizite des einzigen Segeberger Museums mit kulturhistorischer Ausrichtung, des Alt-Segeberger Bürgerhauses, sind dagegen offenkundig und eröffnen kaum die Möglichkeit einer angemessenen Darstellung der umfangreichen Kreis- und Stadtgeschichte. So war der kleine Fachwerkbau aus dem 16. Jahrhundert auch nach seiner Herrichtung zum „Heimatmuseum“ in den Jahren 1963/64 nur mit erheblichen Zugeständnissen an einen regulären Museumsbetrieb nutzbar und erfüllt eher die Kriterien eines einzelnen Freilicht-Museumsgebäudes:
– Sämtliche Ausstellungsräume sind nicht beheizbar und die Außenwände ohne jegliche Isolierung ausgeführt; daher muss der Museumsbetrieb über die Winterzeit (5 Monate!) jeweils ersatzlos eingestellt werden. Die völlig unbeherrschbaren klimatischen und lichttechnischen Verhältnisse verhindern darüber hinaus eine Präsentation sensibler Objekte, selbst während der Sommermonate; Leihgaben mit höherem Versicherungswert (etwa für Sonderausstellungen) würde das Museum somit niemals ausstellen können.
– Die beiden hinteren Räume können für eine stadtgeschichtliche Jahrhunderte überspannende Dauerausstellung keine langfristige Lösung sein und sind bereits für kleinere Gruppen (etwa bei Führungen) zu klein; Schulklassen sind in ihrer üblichen Größe hierin normalerweise gar nicht mehr unterzubringen; Raum für eine museumsdidaktische Rezeption, d. h. für schülergerechte Nacharbeiten, ist nicht vorhanden. Damit gibt es in der Kreisstadt Bad Segeberg für derartige Rezipienten (größere Erwachsenengruppen, Schulklassen, Kinder- und Jugendgruppen) nach wie vor kein Museumsangebot – nicht nur im Hinblick auf die außerschulische Vermittlung der NS-Geschichte des Kreises und der Stadt ein Missstand mit gravierenden Folgen!
– Nach der Installation zweier Dauerausstellungen („500 Jahre bürgerliche Wohnkultur“ und „800 Jahre Stadtgeschichte Segeberg“) in den beengten Kammern des Alt-Segeberger Bürgerhauses durch den ersten hauptamtlichen Museumsleiter Nils Hinrichsen (2012 – 2020) gab es zudem keine eigenständigen Flächen mehr für Sonderausstellungen – mit maßgeblichen Auswirkungen auf die Besucherfrequenz: (kulturhistorischen) Museen ohne wechselnde Sonderausstellungen fehlt der Anreiz für wiederholte Museumsbesuche!
– Im Alt-Segeberger Bürgerhaus fehlt jede übliche Infrastruktur: Weder gibt es eine Garderobe noch nach Geschlechtern getrennte, barrierefrei erreichbare WCs; ebenso ist für einen Aufenthaltsraum oder ein Café mit einem kleinen Erfrischungsangebot und für einen Museumsshop mit Merchandising-Artikeln kein Platz. Auch auf Ruhezonen für Besucher oder Museumshocker zum Mitwandern durch die Ausstellungen muss aufgrund Platzmangels verzichtet werden.
– Für die fachgerechte Anlage einer Sammlung fehlt im Alt-Segeberger Bürgerhaus jegliche Depotfläche; der dafür provisorisch genutzte Dachboden erfüllt dazu einerseits keinerlei (klimatische, statische und sonstige) Voraussetzungen und darf andererseits aus feuertechnischen Gründen zu diesem Zweck nicht eingesetzt werden. Eine wesentliche Grundsäule konventioneller Museumsarbeit – die Anlage und Pflege einer Sammlung – ist somit gänzlich ausgeschlossen.
– Darüber hinaus leidet das Alt-Segeberger Bürgerhaus in seinem aktuellen baulichen Zustand nach wie vor unter einem erheblichen Sanierungsstau: Das Schadensgutachten des Bauhistorikers Dr. Holger Reimers – von der Stadt erstmals bereits 2011 beauftragt – weist Bauschäden in erheblichem Umfang nach! Betroffen sind u. a. sämtliche Räume und Wände und nahezu alle Gefache, etliche Fachwerkhölzer und Fußböden sowie Bedachungen durch Feuchtigkeit, Schädlingsbefall, Vermorschung usw. – In welchem Ausmaß die Schäden seit der Erstellung des Gutachtens noch zugenommen haben, lässt sich nicht zuletzt auch an den Gipsmarken, die sämtlich gerissen sind, und an durch Verkehrserschütterungen (Kopfsteinpflaster / Bushaltestelle vor dem Museum) gelösten Holznägeln der Fachwerkfassade erkennen! Im Inneren des Gebäudes stammt die Elektrik (Leitungen, Stecker, Lampen, Sicherungen) noch aus den 1960er Jahren. Vor der Installation der Dauerausstellungen ab 2013 wurden in einigen Innenräumen notdürftige Reparaturen durch den städtischen Bauhof durchgeführt. Die Vorläufigkeit dieser „kosmetischen“ Reparaturen war bereits im nachfolgenden Jahr an den abermals bröselnden Putzverstrichen durch aufsteigende Feuchtigkeit in den Innenwänden und der weiterhin fortschreitenden Vermorschung der Bauhölzer sowie vieler weiterer Baumängel erkennbar. Der bemängelte Bauzustand des Alt-Segeberger Bürgerhauses ist somit seit Langem bekannt und macht nur ein weiteres Mal deutlich, wie ungeeignet der Fachwerkbau für einen umfassenden Museumsbetrieb ist. Ein im Auftrag der Stadt bestelltes Nachgutachten des Bauhistorikers Dr. Holger Reimers aus dem Frühjahr 2021 belegt eindrucksvoll, in welchem Umfang die Bauschäden weiter zugenommen haben und die Sanierungskosten folglich gewachsen sind.
Angesichts einer annähernd 90-jährigen Museumsgeschichte Segebergs wird deutlich, dass alle bisherigen Anstrengungen, zu einem nachhaltigen Museumsstandort und einem Museumsangebot unter Berücksichtigung zeitgemäßer Kriterien zu gelangen, immer wieder „versandet“ sind.
Die Museumsgeschichte der Kreisstadt Segeberg – eine Geschichte von Abbrüchen!
Während erste Ansätze durch den II. Weltkrieg verhindert wurden, verebbten ernsthafte Bemühungen der 1950er Jahre mit der Einrichtung des Heimatmuseums im Alt-Segeberger Bürgerhaus nach 1964 wieder, ohne dass zunächst bestandene Absichten zur Weiterentwicklung eines Segeberger Museumsstandortes weiterverfolgt wurden. Erst nach Jahrzehnten der Stagnation und knapp vor einer endgültigen Schließung erfuhr das Heimatmuseum im Alt-Segeberger Bürgerhaus mit der erstmals erfolgten Installation fundierter Ausstellungen durch den ersten hauptamtlichen Museumsleiter Nils Hinrichsen wieder eine öffentliche Wahrnehmung. Nach dem Aufbau seiner konzipierten Museumspräsentation fiel auch diese Aufstellung wieder in einen Zustand konzeptionsloser Beliebigkeit zurück, nachdem eine zweite Museumsleitung nach kurzer Zeit auf eigenen Wunsch die Bad Segeberger VHS verlassen hat. Seitdem gibt es eine ehrenamtliche Führung des Museums; die konzeptionell geschlossenen Dauerausstellungen wurden willkürlich auseinandergerissen und die Präsentation mit Sonderausstellungen einfachster Machart durchgesetzt, ohne die zuvor beschriebenen Missstände zu beheben. Insbesondere eine Weiterentwicklung des Museumsstandortes Bad Segeberg wurde durch die zuletzt eingesetzte Stagnation im Alt-Segeberger Bürgerhaus ein weiteres Mal ausgebremst. Die heutigen Kriterien attraktiver Dauer- und Sonderausstellungen lassen sich jedoch ohnehin nur in einem nachhaltig verankerten und professionalisierten Museumsbetrieb und in entsprechend geeigneten Museumsgebäuden umsetzen – Standards, wie sie in den benachbarten Kreisen mit ihren Kreis- und sonstigen kulturhistorischen Museen längst Normalität sind.
Die Notwendigkeit eines Kreis- & Stadtmuseums in Bad Segeberg
Die Ansprüche an eine kulturhistorische Vermittlungsarbeit haben sich in den zurückliegenden Jahrzehnten inzwischen zu einer breiten Palette medialer, pädagogischer und institutioneller Ebenen weiterentwickelt. Der Förderverein Kreis- und Stadtmuseum Segeberg hat daher sein ursprüngliches Konzept eines reinen (kulturhistorischen) Museums erheblich erweitert und seine Forderungen nach einem kulturhistorischen Kreis- und Stadtmuseum auf die zeitgemäßen Bedürfnisse eines Kulturellen Zentrums angepasst. Das Kulturangebot eines künftigen Kulturellen Zentrums füllt dabei eine noch größere Lücke in der Kreisstadt und nutzt dabei Synergie-Effekte auf nachhaltige Weise. Diese Forderung wurde inzwischen auch von der Politik anerkannt und mit der Bereitstellung finanzieller Mittel in Höhe von 55.000,- EUR eine Machbarkeitsstudie auf den Weg gebracht.
Mit der Einrichtung eines Kulturellen Zentrums wird sich eine über Jahrzehnte andauernde Lücke in der kultur-(historischen) Vermittlung des Kreises Segeberg mit einem zeitgemäßen Angebot für Einheimische wie für Gäste der Stadt schließen. Ebenso wird der Kreis Segeberg damit den signifikanten Rückstand eines kulturhistorischen Angebots im Vergleich mit seinen Nachbarkreisen aufholen.
Für den erforderlichen Raumbedarf eines Kulturellen Zentrums – bevorzugt in einem Bau mit historischer Relevanz – empfiehlt sich in der Kreisstadt Bad Segeberg inzwischen das Gebäude des Hauses Segeberg (heute noch Sitz des Landrats), das mit dem Umzug des Landratssitzes in die neu entstehende Kreisverwaltung auf der gegenüberliegenden Straßenseite zur Verfügung stehen wird.
Nils Hinrichsen
Wie geht´s weiter mit dem „Museum Alt-Segeberger Bürgerhaus“?
Verwendete Literatur/Quellen:
- Sven Bracke, Benjamin Mortzfeld: MUSEUMSFÜHRER SCHLESWIG-HOLSTEIN, hrsg. vom Museumsverband Schleswig-Holstein, Neumünster 2010.
- Jürgen Hagel: Aus der Anfangszeit des Heimatvereins Segeberg, in Heimatkundliches Jahrbuch für den Kreis Segeberg (33. Bd.) Bad Segeberg 1997.
- Thomas P. Kersten, Simon Deggim, Felix Tschirschwitz, Maren Lindstaedt, Nils Hinrichsen: Das Alt-Segeberger Bürgerhaus – Ein Museum und seine Baugeschichte in der virtuellen Realität, in: DenkMal! Zeitschrift für Denkmalpflege in Schleswig-Holstein, Jg. 25 (2018), S. 123 – 130.
- Holger Reimers: Heimatmuseum – Baugeschichte und Denkmalpflege. Bestandserfassung – Schadensermittlung – Maßnahmenkonzepte, Hohenfelde 2011.
- Holger Reimers, Nils Hinrichsen: Das Alt-Segeberger Bürgerhaus. Vom Stadtwohnhaus des 16. Jahrhunderts zum Stadtmuseum im 21. Jahrhundert, in: Lutherstadt Wittenberg, Torgau und der Hausbau im 16. Jahrhundert (Jb f. Hausforschung, Bd. 62), Marburg 2015, S. 341-355.
- Holger Reimers: Bestandserfassung – Schadensermittlung – Maßnahmekonzepte, Aktualisierung des Maßnahmenkonzeptes und der Kostenschätzung von 2011, April 2021.
- Museen, Gedenkstätten und Sammlungen im Kreis Segeberg mit Neumünster, hrsg. von der Museumsberatung und -zertifizierung Schleswig-Holstein, Bad Segeberg 2019
- Museumsberatung und -zertifizierung in Schleswig-Holstein: Alt-Segeberger Bürgerhaus. Voraussetzungen zum Erlangen des Zertifikats, Rendsburg 2018.